FAZ Berliner Seiten, 20.12.2001

Schluss mit Ritze Ratze
Henrik Schrat erweitert den Kunstbegriff und zeigt Lasergefertigtes aus dem Erzgebirge

Stefan Heidenreich

Es war einmal ein Erzgebirge, da gab es Holz. An langen Winterabende schnitzten Bauern und Arbeiter Muster und Figuren aus Holz. Touristen kamen und kauften die Holzschnitzereien aus dem Erzgebirge. Und wenn die Holzschnitzer nicht gestorben sind ... Heute kommt die typische Erzgebirgs-Schnitzarbeit nicht aus Sachsen, sondern aus China. Wer in Aue, Hohenstein-Ernstthal oder Seiffen noch schnitzt, kann mit den Lohnstückkosten in fernen Osten längst nicht mehr konkurrieren. Die Produktion geht den Gang aller Handarbeit: sie wird ausgelagert.

Das Stilmuster Erzgebirge ist globalisiert. Die Mobilität der Dinge betrifft nicht nur materielle Produkte, sondern genauso immaterielle. Als Datensatz wird exportiert, was dann mit dem Aufdruck "handgefertigt" in die Touristenshops zurückkommt.
Was der Künstler Schrat - er stammt aus Sachsen und hat in Dresden die Akademie besucht - mit der Erzgebirgsromantik macht, stellt das konsequente Gegenstück zum Export der Arbeitsplätze dar. Der Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer steht die Verlagerung der einheimischen Kompetenz auf den Entwurf gegenüber. Aber die Erzgebirgs-Holzschnitzerei ist kein Turnschuh, sondern ein traditionelles Muster und bietet deshalb für Variationen keinen Spielraum. Die Verhältnisse von traditonellem Original und digitaler Simulation führen zur einer scheinbar verkehrten Welt. Die Handarbeit beharrt auf der Wiederholung von Formen und ihre Authentizität erschöpft sich im Stumpfsinn vor-technischer Serienmanufaktur. Schrats Erzgebirgs-Holzschnitzerei werden von Händen nicht angerührt. Laserstrahlen fräsen die ziselierten Formen aus Sperrholz. Anders wäre es nicht möglich, feinste Linienzüge wie etwa das Gitter eines Einkaufswagens aus dem Holz herauszupräparieren. Der Charakter des Materials verwandelt sich. Mit schwarzer Lackierung versehen wird das handelsübliche Sperrholz vollends zu einem willkürlich formbaren Kunststoff. Dennoch behält die Hand des Künstlers eine Aufgabe, und zwar dort wo ein Designprogramm wie Freehand sie ihr zuweist. Im Computer versieht Schrat die Traditionsmuster mit digitalen Variationen. Eine große Schneeflocke entsteht aus den traditionellen Symmetrien des Sechsecks, aber dann variiert der Künstler jeden einzelnen Zacken des Schneekristalls und erzeugt so ein Objekt, das von Ferne die Ästhetik des Nippes-Ornaments aufruft, bei genauerem Hinsehen aber zu einem Spiel von Abweichungen wird. Es zeigt sich, daß nicht etwa die Produktionsform von Hand eine Nähe zur Natur hervorbringt, sondern daß der Variantenreichtum sich viel eher digital entwerfen und automatisch herstellen läßt. So gelingt es dem Künstler, mit den "Grüßen aus dem Erzgebirge" die Widersprüche zwischen romantischer Ideologie und digitaler Kultur herauszustellen. Regionale Muster werden digital simuliert, während traditionelle Produktionsweisen globalisierte Fakes sind. Romantische Naturverbundenheit entsteht durch Mausklick und Laserstrahl, während Handarbeit vorgebliche Authentizität als serielles Massenprodukt erzeugt.
Der Künstler Henrik Schrat hat sich genügend mit den Beziehungen zwischen Kunst und Wirtschaft beschäftigt, um die ökonomische Dimension seiner Arbeit reflektieren zu können. Im letzten Jahr installierte er im Saal der Frankfurter Börse ein großes Tableau aus Bonbonpapieren als buntes Abbild des Güterverkehrs. Zur Zeit arbeitet er an der Slade School in London an einem Projekt, das anstelle des Künstlers einen Manager-in-Resident an die Hochschule holen wird.

Die ökonomische Perspektive steht bei den "Grüßen aus dem Erzgebirge" nicht im Vordergrund. In manchen Laserschnitten bricht die Warenwelt motivisch ein, etwa in Form eines Einkaufswagens. Aber ansonsten gebraucht Schrat das Erzgebirgs-Muster zumeist als Stilvorlage, die variiert und ergänzt wird. Manche Arbeiten geben sich dem Dekorativen hin und lösen sich ganz im Ornament auf, andere beziehen auf das Erzgebirge als romantische Szenerie, etwa die Arbeit "Pisser (Freunde machen)", in der drei junge Männer an einen Baum urinieren. Seit Duchamps Urinal ist das Urinieren festes Motiv im Formenschatz der modernen Kunst. Der feine Wasserstrahl, durch den die neuen Freunde das romantische Baummotiv verwandeln, hätte sich ohne die Hilfe des Lasers nicht aus dem Sperrholz schneiden lassen.

Henrik Schrat: Grüße aus dem Erzgebirge
Galerie Olaf Stüber, Max-Beer-Str. 25, 10119 Berlin-Mitte, noch bis 31.12.2001, Di-Sa 14-18 Uhr

Die Ausstellung

 

 

 

Bilder