Bärendienst

Oft denke ich, daß nichts der Kunst so geschadet hat, wie die Idee, sie sei autonom. Die Finanzen demolieren dauernd und gründlich diese Annahme der Automomie, oder besser: verwandelt sie auf eine sehr spezielle Weise. Darüber will ich ein bißchen polemisieren und darüber, daß Geld ein ernst zu nehmender Kunstkritiker ist.

Genauer genommen sind mindestens zwei Ideen von Autonomie auszumachen: eine inhaltliche und eine finanzielle. Die erste geht von etwas wie der "geistigen Unabhängigkeit" des Künstlers aus. Sie wird problematisch, wenn man sich dann zu wundern beginnt, warum Kunst in einem hermetischen Türmchen abgestellt ist. Wer Autonomie fordert, darf sich nicht wundern, wenn er nichts zu sagen hat. Er wird im besten Falle als Versatzstück des Marktes benutzt, was auf die zweite Form der Autonomie-Idee deutet: Wenn Künstler finanziell nicht von der Kunst abhängen wollen. Das kann mit der Vorstellung begründet werden, man sei dann korrumpierbar. Beide Ideen haben etwas für sich, ich glaube aber, sie sind in der aktuellen Situation nicht mehr zu vertreten. Ich möchte den Spieß umdrehen: Finanzielle Zusammenhänge sind nicht nur wirtschaftlicher, sondern auch kreativer Zufluß. Als pragmatische Kondition ist Geld eine Form, die der Kultur gesellschaftliche Relevanz zurückgeben könnte - und zwar nicht nur im Sinne von Wirtschaftskraft, sondern mehr noch in inhaltlichem Sinne.

Autonom gewesen ist Kunst nie - in keiner Hinsicht. Ein riesiges Konglomerat aus öffentlichen, finanziellen und persönlichen Anforderungen wird bei der Produktion von Kunst bedient. Ich würde noch weiter gehen: Diese Anforderungen rufen die Kunst hervor und geben ihr eine gesellschaftliche Berechtigung. Das ist von Seiten der Künstler etwas aus dem Blickfeld geraten. Meines Erachtens schadet das der Qualität Kunst. Solange Stiftungen, Galerien, Käufer und Institutionen nur als technischer Arm gesehen werden, der das bereits beendete "an den Markt bringt", finanziert oder höchstens noch "kommuniziert", kann es keinen geistigen Rücklauf geben. Ich glaube, es ist nötig, diese Schnittstellen zur Gesellschaft als inhaltliche und formale Resource zu aktivieren.

"Das Aufbäumen gegen die Kulturindustrie muß man sich auch leisten können". Besser ist die Schizophrenie der Situation, in die sich viele hineingedacht haben, nicht zu beschreiben: Das Geld, das dazu dienen könnte, das man es "sich leisten kann" ist zunächst zu verdienen. Der Satz entstammt Christine Reschs empfehlenswerten Artikel "Fast wie im richtigen Leben", aus dem aktuellen Kunstforum (BD. 143). Diese Zeitschrift flatterte oder besser: krachte mir auf den Schreibtisch, während ich gerade schrieb, und enthält Texte zu ähnlichen Fragen. Natürlich kann man das Geld zum Aufbäumen auch außerhalb der Kulturindustrie verdienen, um von ihr autonom zu sein. Dann bekommen wir aber andere Probleme. Es könnte das Geld genommen werden, das man von Tante Erna geerbt hat. Der häufigere Fall ist eher, daß Künstler diverse Jobs betreiben, um "nebenbei" Geld zu verdienen. Als Dauerzustand hat so was durchaus einen Haken: Die betriebene Kunst sieht dann eher nach Hobby aus, oder vielleicht nach Luxus, je nachdem. Beides ist ja durchaus sinnvoll. Daß Kunst immer auch eine soziale Integrationszone herstellt, ist einer ihrer angenehmsten Effekte. Nur kann das nicht alles gewesen sein. Ich spreche hier wesentlich über Finanzierungen, die nicht staatlich sind. (Es wäre ein Thema für sich, zu fragen, was für eine Idee von Staat zur Kunstförderung führt, und was das für ethische Folgen - auch für die künstlerische Form - hat.)
Sicher, diese Perspektiven treten nur zutage, wenn Geld als Blickwinkel wesentlich oder akzeptiert ist. In der Kunst blendet man das ja gern aus, weil sich verschiedene Wertesysteme kreuzen. Durchaus zu Recht, und das ist schließlich nicht nur in der Kunst so. Schon der alte Herr Platon hat vorgeschlagen, eine weitere zu den klassischen Künsten hinzuzufügen: Die Kunst des Kaufens und Verkaufens. Er zeigte sich wohl verwundert darüber, wie man von einem Arzt - oder allen anderen - parallel zu seiner Kunst verlangen könne, diese auch noch zu verkaufen.
Zurück zur Idee, daß Kulturindustrie ein schrecklicher Moloch wäre, gegen den man sich aufbäumen müsse. Wenn mit der Kulturindustrie Geld verdient wird, möchte ich das als "relevantes" Geld bezeichnen. Geld ist eine der Schnittstellen der Kunst zur Gesellschaft. Warum da Geld ausgegeben wird und für was, sollte zu den grundsätzlichen Reflexionen des Künstlers gehören. Schließlich spielt das Geld in der Gesellschaft, über die und in der künstlerisch gearbeitet wird, eine zentrale Rolle und bestimmt Denkmuster. Bewertungen und Erwartungen von Gesellschaft an Kunst gibt es da zu entziffern. Es ist armselig, wenn diese Reflexion nur mit dem Ziel abläuft: wie ist dieser Prozeß für mich zu wiederholen? Dem Verdienen wird Aufmerksamkeit gewidmet, aber als inhaltliche und vor allem formale Quelle wird es in der Regel ausgeblendet. Klar, sonst geht die Aura des Werkes und der Status des autonomen Künstlers ja in die Binsen. Was wäre daran so schlimm? Genau im Ausklammern dieser Bereiche verliert Kunst eine Chance auf gesellschaftliche Relevanz. Leider wirft die Idee von der Autonomie der Kunst hier immer noch ihre Schatten: War es vielleicht doch Eingebung? Fragt sich der Künstler, und der Konsument hat es auch ganz gern so. Wenn die Produkte in vorauseilendem Gehorsam die Bedingungen plötzlich und zufällig erfüllen, mag man am Ende selbst an die Eingebung oder Autonomie glauben. Das fatale ist, daß dabei der Horizont, der Bewertungen und Erwartungen der Gesellschaft umfassen könnte, zusammenbricht. Je besoffener man von dem verbleibenden Intuitionsgedröhn wird, um so kleiner wird der Gesichtskreis. Die Autonomie-Idee legitimiert dieses Hamsterrad.
Daß ich nicht recht weiß, warum man sich gegen Kulturindustrie aufbäumen, sondern sie viel lieber instrumentalisieren möchte, ist vielleicht deutlich geworden. Wenn auch die Aufbäumerei ein immer wieder gern gesehen und gekauftes Motiv ist.
Um auf Platon zurückzukommen: Die Kunst des Mediziners besteht darin, den Menschen zu heilen. Das scheint klar gegen den Verkauf medizinischer Fähigkeiten abgrenzbar, auch wenn Platon die Gesundheitsreform noch nicht kannte. Mit der Kultur ist es nicht ganz so einfach, sie ist nicht nur Teil der Gesellschaft, sondern reflektiert diese auch - irgendwie. Das was ich eben böse "vorauseilenden Gehorsam" genannt habe, ist bei bewußter Beobachtung Teil eines Dialoges, egal ob es sich dabei um Käufer, Kommissionen oder Kritiker handelt. Es handelt sich um einen Dialog - Multilog - dessen Sprache in drei große Dialekten gesprochen wird: Kunstobjekte, Geldsummen und Ruhm. Die Binnenform eines Kunstwerkes - was ist drauf auf dem Bild - steht in direktem Wechselspiel zur eben erwähnten externen Form: wo und wie ereignet sich das Kunstwerk, und wie wird es kommuniziert - besprochen, rezipiert und verkauft. Erst in diesem externen Teil seiner Form beginnt es bekanntlich seine Realität zu entfalten.

So wie man seit einigen Jahren von einer "Verwirtschaftlichung" der Gesellschaft spricht, rückt auch der Begriff der Kulturindustrie ins Geschehen. Die Kultur wird unter merkantilen Gesichtspunkten betrachtet. Ich habe es immer als Kompliment empfunden, Teil der Kulturindustrie zu sein. Es scheint mir etwas mit "die Kunst wird erwachsen" zu tun zu haben. Aber dabei darf es eben nicht bleiben. Damit wird die Verzahnung zwischen verschiedenen Gesellschaftsbereichen erzeugt. Erst muß begriffen werden, daß Kunst rückstandslos in der Kulturindustrie enthalten ist, und diese komplett verwebt mit allen anderen Industrien. Das könnte auf der einen Seite zur Folge haben, daß die Kulturindustrie - mit herzlichen Grüßen von der Kulturseite - ein wenig umdefiniert wird. Das hätte aber auf der anderen Seite zur Folge, daß die Kunst ihre so oder so gegebene pragmatische Einbindung als Form produktiv machen kann.
Das ganze Gesülze von der Korrumpierbarkeit der Kunst ist nur Augenwischerei: Auch sie kann nie außerhalb des Geldkreislaufes existieren. Ich habe so einen zwei-Punkte-Plan: ernüchterndes Andocken an die Industrie, "Rausch ausschlafen", genaues Beobachten der Verzahnungen. Und dann kann man quasi einen Drehpunkt in diesen industriell-kulturellen Komplex einbauen, und den ganzen Mist umkippen - wenn man das braucht. Die Kultur bricht nicht zusammen im Zuge dieser Verwirtschaftlichung. Sie wird vielleicht wieder wahrhaftiger, und löst sich aus ihrem selbstbezüglichen Gedrösel. Durch die Kulturindustrie werden alte Zusammenhänge radikaler formuliert und es kommen neue hinzu. So wie Kultur da als Industrie beschrieben wird, ist die Industrie als Kultur beschreibbar und nutzbar. Es ist ja weiß Gott nicht neu, Gesellschaft nach kulturellen Normen zu interpretieren - und daran sollte man festhalten. Für Herrn Monet löste sich die Welt in Farbpunkte auf, egal ob es Seerosen oder seine tote Mutter war, eine ganze Reihe an Künstlern hat sich mit industriellen und wissenschaftliche Formen beschäftigt, und Beuys brachte es mit seinem Wort von der sozialen Plastik auf einen Punkt.
Ich will aus all dem keine happy-go-lucky Geschichte machen. Aber es ärgert mich, wenn die Beziehung der Kunst zum Geld unproduktiv bleibt. Dabei spüre ich in dieser Beziehung das Potential, Kunst aus einem isolierten Fachdiskurs herauszuholen. "Keine Werbung und keine Anzeigen in den Ausstellungskatalog!" Ich finde das dumm, und zwar weniger aus monetären Gründen. Die Anzeigen sollen mitten hinein - das ist ein Stück Dialog zwischen verschiedenen Interessenfeldern. Und zwar kein herbeigelobter, laßt-uns-miteinander-sprechen-Dialog und Kultur-ist-die-moralische-Verpflichtung-der-Gesellschaft-Schwachsinn, sondern ein pragmatischer, sich ereignender Zusammenhang der so wahr ist, daß es kracht. Aus dem Stoff ist Kunst tatsächlich, da steckt Form und Zukunft drin. Natürlich muß sorgfältig geschaut werden, warum wer wo annoncieren will und was dem kulturellen Teil dabei zustößt. All das ist kein Anhängsel, das hinterher an die Kunst gepappt wird, oder das sie netterweise finanziert oder es böserweise nicht tut: Es ist ein Teil von ihr. Wer es nicht merkt und nicht mitdenkt, tut sich selbst und der Kunst einen Bärendienst.
Ich habe gerade ein recht zeitraubendes Projekt abgeschlossen, in dem ich Objekte für eine ganze Reihe von Leuten nach deren Ideen speziell für ihre Wohnungen angefertigt habe. Der eigentliche Ausgangspunkt war, herauszubekommen, wie und ob heute historische Sprichwörter interpretiert werden, was für Objekte man daraus machen würde, welche Ästhetik und Form dafür benutzt werden. Ich habe ziemlich viel gelernt, am meisten aber über die Erwartung die an Kunst und kunstähnliche Gegenstände und deren Hersteller gestellt werden. Welche Rolle das im Leben spielt oder nicht spielt. Also, ich habe mit all diesen Leuten gearbeitet, und in der Ausstellung selbst war dann nichts zu sehen bis auf die Telefonnummern der Teilnehmer, weil die einzelnen Objekte ja in den Wohnungen hängen. Daß es tatsächlich zu all dem kam, macht mir große Freude: Das wäre nicht passiert, wenn Kunst nicht irgendeine tatsächliche Rolle spielen würde und von allem autonom wäre. Ich habe da so eine These: es ist unmöglich Kunst so einzuschränken, daß nicht trotzdem Millionen Entscheidungen bleiben. Wenn mir jemand sagt, er hätte gern mehr Blau auf dem Bild oder so, find ich das herrlich. Er muß mir dann allerdings verraten, warum, und wird so zum Forschungsobjekt für mich. Vielleicht ist das eine neue Art Naturalismus. Ein Kompromiß ist Teil eines Dialoges, in einem Kompromiß ereignet sich eine tatsächliche, relevante Form, die nicht in einem autonomen Kosmos verblaßt. Bedingung ist allerdings, daß man die Kraft hat, diesen Kompromiß als produktive Form wahrzunehmen.
.

Schrat, 4/98