INTERVIEWS

 

Frage: Welchen Einfluß haben Arbeitslose in der Gesellschaft?

Bogdan Fischer, erwerbslos:
Einfluß hat man wenig, man muß sich selbst Einfluß verschaffen. Es ist sehr schwer, erst einmal dahin zu kommen. Das Wichtigste ist, daß man begreift, das man nicht daran Schuld ist, wenn man arbeitslos ist. Wenn man das begriffen hat, und sagen wir mal die Medien das begriffen haben, daß wir nicht daran Schuld sind, kann man auch etwas Anderes in Angriff nehmen.

 

Frage: Welche Rolle haben Arbeitslose in der Gesellschaft?

Regina Hammer, erwerbslos:
Ich hatte ein dermaßenes Tief durch die Arbeitslosigkeit über ein Jahr. Da dachte ich, du wirst nicht mehr gebraucht, du kannst machen was du willst, überall Absagen. ...du warst eben unten und da dachte ich mir, was sollst du dir denn antun oder anhören. Da wollte ich aber den Computerlehrgang. Da dachte ich mir, noch mehr Geld kannst du nicht rausschmeißen und dachte, beist du in den sauren Apfel, hörst du dir das an, schlimm kann es ja nicht sein, weil mir das trocken vorkam, die ganzen Stoffe. Aber das war so interessant... Ich habe mein Selbstbewußtsein wiederbekommen. Früher war ich selbstsicher und dann durch das Arbeitslose hatte ich so ein Tief, ich dachte, ich bin der letzte Dreck und durch die Krankheit noch. Das hat mich wieder aufgebaut. Ich bin echt wieder so, wie ich einmal war.

 

Frage: Wie definieren Sie Arbeit?

Evelyn Dindinger, ABM:
Arbeit ist erst einmal heraus aus den eigenen vier Wänden unter die Gesellschaft drunter und mich in der Gesellschaft zu bewegen und etwas Sinnvolles zu machen. Daß ich abends weiß, du hast heute etwas gemacht, du hast das und das erledigt. Das ist eigentlich das, was das Wichtigste ist, das man eine Bestätigung kriegt. Denn zu Hause, hatte ich eigentlich immer genügend zu tun mit drei Jungs. Haushalt, Einkaufen, Arztbesuche, das ist aber jeden Tag irgendwo immer das Selbe, keiner sagt, das hast du heute gut gemacht.

 

Frage: Welchen Stellenwert haben geistige und ideelle Arbeit?

Anett Halbing, Freiberuflerin:
Das Geistige hat keinen sehr hohen Stellenwert mehr bei uns. Wenigstens nicht für die kleinen Angestellten, für die hohen Tiere sicherlich, aber nicht für uns. Wir sollen gar nicht so viel denken. Das ist nicht gut. Wir könnten dahintersteigen, was alles so schief läuft in unserer Gesellschaft.

 

Frage: Wie definieren Sie Arbeit im Verhältnis zur Freizeit?

Hermann Leistner, Pressesprecher des Arbeitsamtes:
Die Arbeit ist unheimlich anstrengend geworden und sie fordert von vielen, nicht nur von jemanden der an seine Leistungsgrenzen geht, weil er körperlich oder geistig vielleicht andere Grenzen ziehen muß, häufig fast alles. Und viele Menschen gehen nach Hause von der Arbeit und sind ausgelaugt. Die Batterien sind leer. Sie empfinden sich auch als erschöpft und meinen, sie müssen, und das ist auch in der Regel so, einen gewissen Ausgleich dazu schaffen. Der Eine sucht den Ausgleich in der Ruhe und der Andere sucht den Ausgleich in der Spannung, in körperlicher Betätigung, im Sport, im Schwitzen. Aber Arbeit als Solches ist für mich immer verbunden auf der einen Seite für die materielle Existenzsicherung, andererseits für den Lebenssinn. Weil sinnhaftes Leben definiert sich auch über die Arbeit. Arbeit an sich ist heute mehr, als nur ins Büro zu gehen oder an die Werkbank zu gehen. Also es sind verschiedene Betätigungsfelder oder Arbeitsfelder vorstellbar.

Frage: Welche Rolle spielen Arbeitslose bei der Umgestaltung der Arbeitsgesellschaft?

Dr. Arend Oetker, Unternehmer:
...Not macht erfinderisch. Arbeitslosigkeit ist Not. Die Notwendigkeit sich zu verändern ist ein kreativer Prozeß,...der vielleicht schmerzhaft ist, aber der aus dem Schmerz heraus etwas neues gebären kann. Der Wille das auch wirklich zu wollen und sich nicht fallen zu lassen in das soziale Netz, das gehört dazu.

dr. oetker

Frage: Können Sie sich vorstellen, daß 20 Millionen Arbeitslose in Europa zu Künstlern werden?

Peter Sloterdijk, Philosoph:
Ich kann mir vorstellen, daß alle Europäer zu Künstlern werden. Die neue Anlage eines Begriffsfeldes, in dem man über den tätigen Menschen spricht, hat eine hohe Priorität auf unserer intellektuellen Agenda. Man wäre gut damit beraten, Kategorien der Arbeitsgesellschaft zu verabschieden, und sie zu ersetzen durch Neubeschreibung der Gesellschaft in Tätigkeitsgesellschaften. Die Tätigkeitsgesellschaft ist eine Gesellschaft, die den Unterschied zwischen Arbeit und Freizeit nicht kennt, da sie den nicht tätigen Menschen nicht kennt. ... Das wäre eine Beschreibung, die sehr nahe an das herankommt, was man als Selbstbeschreibung von Künstlern gewohnt war, denn der Künstler hat sich sehr selten ohne Reserve unter dem Arbeitsbegriff einer kargen ökonomistischen Definition verstehen können.
sloterdijk

Frage: Wieviel Freizeit verträgt der Mensch?

 

Michael Naumann, Staatsminister:
Freizeit ist nicht dazu da, um Hobbys zu frönen, den Kleingarten zu harken (was auch sehr nett ist), spazieren zu gehen, oder vor dem Fernseher zu sitzen und sich voll dröhnen zu lassen. Die Frage ist aber: Was ist das Angebot von Vita Aktiva in einer globalisierten Industriegesellschaft?

Die Antwort lautet: ein Politisches. Das heißt, durch statistisch nachweisbare Phänomene der arbeitsteiligen Gesellschaft gibt es zweierlei hoch interessante Dinge: erstens eine wachsende Kluft zwischen arm und reich, nicht nur zwischen den Nationen, sondern auch in den Gesellschaften. Diese Kluft verursacht soziale Spannungen, die sich jeder auf den Straßen in den sogenannten Strukturgebieten, das heißt in den verarmenden Regionen, auch in Deutschland anschauen kann. ... Hier gibt es Aufgaben für diejenigen, die Arbeit haben und Freizeit haben. Dasselbe trifft auch für die internationale Welt zu.

Die sogenannten NGO sind nichts anderes als Freiwilligenbewegungen von Menschen, die auf Grund der medialen Vermittlung des Unglücks der Welt etwas in sich entdecken, was ihre Menschlichkeit ausmacht, nämlich Mitleid und Sorge um den Verlust von Menschlichkeit, um Hunger und Krankheit und politische Unfreiheit sich engagieren. ... Da sehe ich die Zukunft des Arbeitsbegriffes, der sich von der Stechuhrdefinition lösen muß und hat sich im übrigen schon davon gelöst hat.

Bundesminister Naumann
Prof. Dr. Hermann Glaser:
Er verträgt eigentlich wenn er menschlich lebt gar keine Freizeit, aber er verträgt sehr gut Tätigkeit. ...Die reine Freizeit , die ja oft als Vakuum stilisiert wird, also man legt sich an den Strand, entspricht ja eigentlich dann nicht mehr den menschlichen Bedürfnissen, wenn man nicht völlig erschöpft und abgespannt ist und sozusagen alles hängenläßt. Auch in der Freizeit ist Tätigkeit außerordentlich wichtig, je mehr Menschen Freizeit haben, desto mehr Chancen müssen sie für Tätigkeit entwickeln können.
Frank Dittrich:
Das ist eine schwierige Frage, zumal wir von früh bis Abends gearbeitet haben, ist die Frage schwer zu beantworten. Wieviel er verträgt? Na ja, ich würde sagen so stundenweise...neun Stunden! Frage: Gibt es ein Recht auf Faulheit?
Dr. Christian Janecke:
Ich weiß nicht, ob es ein Recht auf Faulheit gibt. Kant hat einmal gesagt "Faulheit ist der Hang zur Ruhe ohne vorhergehende Arbeit." Es ist sicherlich schwierig, sich einen lebenslangen oder wochenlangen Müßiggang vorzustellen. Einige Leute haben damit kein Problem. Ich glaube,...daß die Ideenbildung und Wertschöpfungen die mit Arbeit zusammenhängen für die Gesellschaft aber auch für die Selbstbildung des Einzelnen auch für die Kommunikation der Gesellschaftsmitglieder untereinander nach wie vor wichtig sind.