Text von Erik Stephan, Kurator der Kunstsammlungen
Henrik Schrat gelingt es – und das ist selten – aktuelle Kunst mit politischer oder philosophischer Inhaltlichkeit fern aller pathetischer Rhetorik in einer Weise zu verknüpfen, die ernst und heiter daherkommt. Egal ob Großstadtrummel oder Waldeinsamkeit, Landschaft oder Figur – Schrats Lust an der Irritation, am subversiven Spiel, ist weit entwickelt und der Künstler agiert bisweilen wie ein Dirigent im Orchester jener Geister, die er rief. Es gibt Installationen, die raunen ihre Botschaften dem Betrachter ins Ohr und es gibt andererseits jene Arbeiten, die sich unmittelbar, kraftvoll und direkt mitteilen. Das Werk hat ein beachtliches Ausmaß erreicht und ist weit über die nationalen Grenzen hinaus bekannt – in einigen Städten konnte sich Schrat bereits mit angewandten Projekten dauerhaft in den Alltag einschreiben. Schrat verschränkt zumeist in Installationen oder Serien angelegte Werke, die oftmals literarisch inspiriert sind, mit der Realität einer von Banken, Börsen und ökonomischen Bilanzen bestimmten Gegenwart und verhandelt Warenströme, Kulturgeschichte und persönliches Befinden als gemeinsames und irritierendes Ganzes. Er zitiert, sampelt, erfindet – und entwickelt eine Geschichte aus Geschichten, die sich überlagern und zu einem Strang verbinden, der wie eine Gebrauchsanweisung durch die Ausstellungen führt. Das erscheint einfach und ist meist abgründig, bezeichnet aber auch jene künstlerische Intensität, mit der Schrat alle Bereiche des Daseins durchforscht, Parallelitäten, Beziehungen und auch Gegensätzlichkeiten aufdeckt und daraus eine neue, künstlerische Realität erschafft. Ein Blick in die Ausstellung genügt und man weiß: Hier ist einer unterwegs, der nicht nur die Kunst, sondern auch deren Inszenierung beherrscht. Da staffeln sich vielfigurig bemalte Wände wie Verheißungen vor einem dunklen Schlund, der sich dem Besucher weit und offen entgegenstreckt. Spätestens hier ist der Spaß zu Ende. Zwischen Eitelkeit und Selbsterkenntnis, Wollust und Wahrheit – also im klassischen Geviert der Spiegelsymbolik – erfährt der Weg des Betrachters eine erste Zäsur. Innehalten ist angesagt; vielleicht Selbstreflexion, vielleicht siegt aber auch jene Lust am intelligenten Spiel, mit der Schrat die Dinge verbindet und in immer neuen Zöpfen zusammendreht. Auch die Jenaer Ausstellung folgt einem solchen Script, einer Dramaturgie, die zumeist literarische Gründe hat. Die Ausstellung bezieht sich auf Joseph Conrads Erzählung Herz der Finsternis aus dem Jahr 1899, einem Buch mit dem Conrad berühmt wurde, dessen Verfilmung Orson Welles erwogen hat und Werner Herzog 1972 mit Klaus Kinski in der Hauptrolle umgesetzt hat. Am bekanntesten wurde jedoch Francis Ford Coppolas „Apocalypse Now“ aus dem Jahre 1979. Conrads Erzählung Herz der Finsternis, verhandelt Praxis und Wirkung der Kolonialpolitik auf Betroffene und Ausführende gleichermaßen. Die komplexe Thematik ist nicht nur als Spiegelbild europäischer Kolonialpolitik lesbar, sondern beschreibt – weit darüber hinausgehend – die politischen und psychologischen Auswirkungen einer vor allem am Profit orientierten Politik. Der an Metaphern reiche Text wurde als Reisebericht, Krimi, als politische Schrift oder auch als Reise in jene dunklen Sperrbezirke der menschlichen Seele gedeutet, wie diese fast parallel von Sigmund Freud oder C. G. Jung beschrieben wurden. Doch egal ob hier die Zivilisation und deren barbarische Negation durch ungebremste Gier oder eine Reise ins innere Ausland der Seele beschrieben wird, Conrads Erzählung rückt die bis heute aktuellen Fragen nach der Art und Verortung des Bösen, also die nach der „Finsternis“, in den Vordergrund. Die Finsternis, wie sie Conrad beschreibt ist organisch, nah und unheimlich. Henrik Schrat hat Conrads Erzählung wie eine Partitur über die Räume der Jenaer Kunstsammlung gelegt. Die Reise in die Finsternis, den Kongo hinauf, in ein unverständliches und fremdes Land, erfolgt hier, in den Räumen des Museums, geordnet, ausgebremst durch die Logik der Architektur. Es ist vielmehr Schrats bildnerische Ausmalung der Räume, die uns mäandernd – wie der Flusslauf des Kongo – in Unruhe versetzt. Bei Conrad kriecht das „kleine rußige Dampfboot stromaufwärts, wie ein schwerfälliger Käfer“ und verliert sich immer tiefer im Urwald. Das ohnehin fragile Gleichgewicht zwischen Kultur, Gewalt, Zivilisation und Barbarei kehrt sich auf dieser Reise mehrfach um. Das Ziel der Reise, so die ursprüngliche Absicht, ist der Handelsagent Kurtz, der „mehr Elfenbein gesammelt, eingetauscht, erschwindelt oder gestohlen hatte, als alle die anderen Agenten zusammen“ und eine Schreckensherrschaft über die Eingeborenen errichtet hat. Henrik Schrat nutzt Conrads Idee einer Reise, die das Maß der Ferne an den Grenzen des eigenen Ichs bemisst. Doch die Reise, auf die der Betrachter hier geschickt wird, ist eine andere. Bereits am Anfang wird der Besucher als Konsument empfangen und findet sich inmitten einer Warenwelt, die ihn umgibt und die die Ausstellung wie ein roter Faden durchädert. Der Rundgang beginnt mit einem geradezu monumental gestalteten Eingang in einen Supermarkt, der irgendwo im Wald zu lokalisieren ist: Eltern hocken wie fette Gnome in Einkaufswagen und werden von ihren Kindern umhergekarrt; eine Frau hat sogar die Kinder vorgespannt und rast wie die göttliche Nike dahin. Kein anderes Fahrzeug beschreibt die Sehnsüchte und die Beschränktheit unserer Zeit besser als diese Einkaufswagen, die den gesamten Rundgang durch die Shopping-Mall begleiten. Selbst die arme Kreatur – ein Hund – versucht noch etwas vom großen Tingeltangel zu erhaschen und springt in eins der schwarzen Acrylbilder, die Schrat direkt auf die Wände gemalt hat, nach einer Belohnung. Entspannt sind nur die Außenseiter, die vor der Tür herumsitzen, zuschauen und rauchen. Und dann sind da noch die drei Frauen, die Parzen, die scheinbar unberührt den Faden der Geschichte stricken. Die Bilder kommen locker und schwerelos daher und haben doch, je länger man schaut, Brisanz und Tiefsinn. Das gilt für alle Arbeiten des Künstlers. Man kann sich an dem quirligen Treiben freuen, die Bilder wie einen Comicstrip genießen, man kann aber auch die gesellschaftspolitischen und ökonomischen Dimensionen des Dargestellten hinterfragen. Es ist gewiss lustig anzusehen, wenn Eltern wie dicke Blubse in Einkaufswagen hocken und von ihren Kindern umhergeschoben werden. Es geht dabei aber auch um die Verteilung des Wohlstandes, um Gerechtigkeit und um die Absurdität unserer Orientierungen, denn letztlich ist ein Supermakt mitten im Wald ebenso unsinnig wie jene Speiseeisfabrik die Gabriel Garcia Marquez einst im kolumbianischen Urwald verortet hat. Im weiteren Verlauf begegnet man einem Höllenrachen im Batman-Design, sieht Tische aus Euro-Paletten, auf denen Schrat Holzintarsien aus der Reihe seiner „Space-Odyssee“ vorstellt. Holz und Intarsien, das ist im Gehege der aktuellen Kunst ungewöhnlich – und dazu noch diese Versatzstücke aus der Science-Fiction Ästhetik der 1970er-Jahre. Abgefahrener geht es kaum. Holz an sich ist ambivalent genug. Intarsien konterkarieren jede Form moderner Selbstverortung und Schrat presst damit den letzten Rest vom Aberglauben an die Allmacht der Technik auf dem Rücken abgewetzter Transportpaletten aus. Hinzu kommt, dass die Intarsien von einem indischen Familienbetrieb in Laubsägearbeit gefertigt wurden, ohne Laser und ohne Strom – nur da, wo die Maharadschi gewöhnlich Elfenbein platzierten, ist hier Plastik eingefügt. Das passt und unterstreicht die dem Werk immanente Ironie. Die Reise geht weiter: Überall
Wächter, schwarze Silhouetten, oft bewaffnet – etwa aus der
Serie der „Pension-Fighters“ – die Schrat am Wegesrand
aufmarschieren lässt und die als Wachpersonal für Unbehagen
sorgen. Nach einem Raum der Ferne, in dem Schrat mit der Arbeit „Eine Million Jahre vor dem Weltuntergang“ an Boris Strugazki denkt und dem Raum der fünfzehn Gastkünstler steht der Besucher, fast am Ende des Rundganges, vor einer schwarzen Wand – dem Nichts – einem Abgrund, vor dem Mr. Creosote aus Monty Pythons „Sinn des Lebens“ platzt. Erst danach wird kassiert. Das Herz der Finsternis ist keine monolithische Utopie mehr, die großen Debatten haben sich in kleinen, lokalen und temporären Diskursen zerfasert. Das Herz der Finsternis, es ist – verhudelt. Ich denke, dass Sie, verehrte Gäste, wissen, was das zu bedeuten hat. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und Henrik Schrat für eine hervorragende Ausstellung, an der wir uns bis zum 16. August erfreuen dürfen. Erik Stephan
|