Dreibart und das Schwarze Gold


Es rappte Tagster zur Eröffnung, der einen Song zu Dreibart und das schwarze Gold geschrieben hat.

Die Rede von Ruediger Giebler zur Eröffnung der Ausstellung

Dreibart und das Schwarze Gold ist eine kollektive Phantasie. Kunst ist natürlich immer eine kollektive Phantasie. Kein Bild existiert ohne die Phantasie seiner Betrachter. Es ist sogar möglich, daß Bilder, die noch gar nicht existieren, Phantasien freisetzen. Henrik Schrat hat hier etwas sehr Verwirrendes geschaffen – irgendwie ist unklar: was war zuerst da: Die Installation oder ihre Interpretation. Der Traum von Reichtum und den damit verbundenen Problemen ist eine latent vorhandene kollektive Phantasie. Das sind solche Geschichten, wie die mit dem Fischer und seiner Frau und dem Hans im Glück und die Sache mit der Goldenen Gans, die dann in dem kollektiven Ausruf mündete: Wir sind das Volk, Papst und Weltmeister der Herzen. Auch Bräuche sind eher Phantasiegebilde, allerdings durch Tradition und Ritual in ihrem anarchistisches Potential gebändigt. Gerade hier im Vogtland erinnere ich gern an den Kartoffelkloß und den Schwibbogen. Der Schwibbogen ist der, als Laubsägearbeit materialisierte, kollektive Phantasieraum, der Platons Höhlengleichnis mit der Hoffnung der arbeitenden Bevölkerung auf das Licht am Ende des Tunnels verbindet. (Sie sehen hier in der Ausstellung stilistische Ähnlichkeiten.) Und der Kartoffelkloß ist die magische Verwandlung eines Nachtschatten-Erdproduktes in dampfendes Gold, gegen dessen Erfindung die des Meißner Porzellans recht nichtig erscheint.

Der Künstler Henrik Schrat tritt nun als Animateur eines neuen vogtländische Märchenfilms auf. Was passiert wenn die Ressourcenlage sich grundlegend ändert. Das wäre ein Rundumschlag zur Neusortierung des Vogtlandes, damit käme man an die Spitze – die Welt würde neiderfüllt auf Greiz, Schleiz, Lobenstein blicken wie nach Kuwait oder Norwegen. Die Olympiade könnte nach Plauen kommen, der Grand Prix de Eurovision nach Ziegenrück, die Formel1 nach Zeulenroda und Fußballweltmeisterschaft ins das ganze Vogtland.
Wie wäre der Bruch zwischen heimeliger Gemütlichkeit und dem Begehrlichkeiten der global agierenden Weltwirtschaft zu verkraften – einer Weltwirtschaft für die kulturelle und soziale Schranken irrelevant sind.
Die Zeiten ändern sich, aber nicht die Träume vom Tischlein-Deck-Dich und dem Goldesel. Es gibt eine simple, den Tagtraum auslösende Grundphantasie: Liegt das Glück des Landes im tiefen Schoß der Erde? Oder ist das ein Fluch. Das Öl ist die Märchenerzählung des Industriezeitalters, der Stoff der alles zum Laufen bringt. Öl bedeutet nicht nur Reichtum sondern vor allem die Beschleunigung des Individuums. Mit Öl kann man Menschen auf den Mond schießen. Das Individuum bekommt für seine Unabhängigkeit neue Maschinen: das Fluggerät und das Auto. Vor dem Öl kam die Kohle und nach ihm die Atomkraft. Die individuelle Freiheit hat die Kohle nicht gebracht. Die Dampfmaschinen in Eisenbahn und Ozeanriesen haben vor allem große kollektive Bewegen ermöglicht, Auswanderung, Umsiedlung und Emigration – und die Atomkraft vom ersten Moment die Angst vor dem Völkermord in Sekundenschnelle.
In der Erzählung vom Öl wird das Gute und das Böse zu gleichen Teilen befördert. Reichtum entsteht durch das Verbrennen und Veredeln von flüssigen Dreck, der seit der Dinosaurierzeit unter dem Gebirge liegt, in unzugänglichen Tiefen. Auf ihren Plattformen bohren einsame harte Männer ein Loch in das Gestein und dann schießt dort schwarzer heißer Schmodder hoch. In dem Teil der Erzählung, der das Gute abhandelt, geht es um Wagemut und Kraft, um das Glück des Forschers und Abenteurers, um Fleiß und Ausdauer, und um den Willen etwas in Besitz zu nehmen, um das Können der Wissenschaftler,
Die Erzählung des Bösen ist um einiges interessanter, da geht es um rücksichtslose Gier, um den Willen zur Macht, um Aneignung fremden Besitzes, die Aufhebung der Legalität, Korruption, Gewalt und sinnlos verschleuderten Reichtum.Ganze Staaten fallen in das Verbrechen. Öl und Blut sind in einem Gleichnis.
Alle sind sich einig: Geld allein macht nicht glücklich und Erdöl bringt nur Ärger. Die Geschichte vom Erdölfund geht meist nicht gut aus. Da liegt auch etwas wollüstig tropisches darin. Anarchie und willkürliche Brutalität und rote Fackeln über schwarzen Fichtenwälder – will man das wirklich im Vogtland? Einen schwarzen Goldrausch mit Glücksrittern, und Konquistadoren, wahnsinnigen Wissenschaftlern – und internationalen Syndikaten, die von der Wallstreet aus Warlords und Milizenführern zwischen dem Aschberg und dem Schneckenstein dirigieren? Die Söhne des Landes verdorben für den angestammten Hof durch die Wahnsinnslöhne, die auf der Plattform gezahlt werden, eine Urbevölkerung die für ihren Freiheitskampf in die Wälder gehen muß? Den brachialer Eingriff der Technik zur Ressourcenförderung im Urwald? Zwanzigtausend Tonnen Rohöl laufen aus der zerbrochenen Exxon Valdez in das idyllischen Naherholungsgebiet aber die die Zinsen für vogtländische Staatsanleihen schießen durch die Decke?
Nur die personifizierte Natur kann sich da noch wehren.

Henrik Schrat hat eine kleine Sicherung eingebaut in das Erzählmuster: Dreibart. Das ist ein Rastaman-Waldschrat mit Science-Fiction-Surfbrett, der immer zur Stelle ist wenn’s Ärger gibt. Ein Mix aus Rübezahl, Tarzan, Che Guevara und Godzilla. Ein verstecktes Selbstportrait? Oder eher nicht?
Der materielle Teil des Projektes setzt auf den Schwarz-Weiß-Kontrast. Das sind klare Entscheidungen. Die Dinge zeigen ihre Silhouette, die Körper werden durch ihren Umriß beschrieben. Alles ist auf die klare Linie reduziert, keine Zwischentöne, nichts Graues. Das Bild ist abstrakt im Konkreten. Scherenschnitt ist Schattenkunst. Volxkunst im besten Sinne, einen Schatten hat jeder, Silhouetten nachzeichnen kann jeder. Bis zur Erfindung der Photographie war das die einzig authentische Reproduktion von Dingen die keine subjektiven Eingriffe des Autors/Bildermachers zuließen. Diese Art der Reproduktion besitzt eine große Glaubhaftigkeit. Henrik Schrat baut aus durchlöcherten Bildern einen Raum, der Assoziationen produziert. Der negative Raum hat keine Atmosphäre. Wo kein Schwarz ist, sind die Luftlöcher für die Phantasie. Eine Ausstellung wie mit Standbilder aus einem Märchenfilm.
Die Silhouetten sind zu beruhigenden Ornamenten sortiert. Wenn die Schatten der Dinge im geregelten Muster gezeigt werden, ergibt sich fast von selbst ein haltbares Gitterwerk für die interaktive Geschichtserzählung. Maschinen, Architektur, Pflanzen, Landschaftsdetails sind ordentlich aufgereihte Requisiten für das Schattenspiel. Ein Bildertext, der viele verschiedene Lesbarkeiten assoziiert. Diese Aufgabe hatte bis jetzt der oben erwähnte Schwibbbogen. Die in Laubsägearbeit gebannte Nahtoterfahrung der unter Tage Tätigen wird nun in der Welt der Neuen Medien narrativ fortgeführt. Als Frage nach der Realität der Dinge. Was ist echt und was ist Märchen und was ein Albtraum. Was ist mein Leben und was steht im Facebook?

Der Witz beim Schattenspiel und beim Gleichnis mit den Schatten auf der Höhlenwand ist, daß man nicht weiß wo die Sonne steht. Mit anderen Worten: wo ist Gott, wir sehen wie sich das Dunkle bewegt aber nicht die Quelle des Lichtes. Selbst wenn die Handlung einen Sinn ergibt, ist man sicher, daß irgend etwas grundsätzlich faul ist. Was ist real, wie könne wir die echten Dinge von den Schatten, den sie an die wand werfen unterscheiden? Jedes Kind macht diese Erfahrung, nicht der Baum vor dem Haus ist bedrohlich, es sind die Schatten die er ins Zimmer wirft. Platon hat das nicht erfunden. Er hat nur die eindringlichen Worte vor zweieinhalb Jahrtausenden dafür gefunden. Ich habe noch eine andere Empfehlung zur Steigerung des vogtländischen Bruttosozialproduktes: suchen sie nicht nach Öl, führen sie die konstitutionelle Monarchie in den alten Kreisgrenzen wieder ein.
Das kann ihnen niemand verbieten, sie sind das Volk. Die moderate Monarchie, mit ganz vielen Fürstenhäusern wäre die nachhaltigste Rohstoffgewinnung über die Erzeugung von Hochglanzklatsch und die Verheiratung von gut gewachsenen Prinzen und Prinzessinnen in die großen Häuser Europas und praktisch jeder Vogtländer würde Hoflieferant werden. Den Euro können sie behalten, aber eigene Briefmarken heraus geben. Am besten was mit Scherenschnitt.

Leseempfehlung: “Öl auf Wasser” Helon Habila, Nigeria Wunderhorn Verlag, Heidelberg 2012 (ISBN 9783884233917) Gebunden, 240 Seiten, 24,80 EUR
Da könne sie alles nachlesen, was ihnen erspart bleibt.