Henrik Schrats Messer Gabel Enterhaken.
Dem Berliner Künstler Henrik Schrat
standen für die Entwicklung seiner monumentalen Erzählung „Messer,
Gabel, Enterhaken“ etwa 120 qm Wandfläche im Forum des Von der Heydt-Museums
zur Verfügung. Traditionell ein Museum des 19. und 20. Jahrhunderts, ist
immer wieder auch zeitgenössische Kunst in unseren Räumen gezeigt
worden, nicht zuletzt, weil einige der bekanntesten Sammler der jüngsten
Kunstgeschichte aus Wuppertal stammen. Schrats vorab skizzierte Projektidee:
„Das von der Heydt-Museum wird geflutet ...“, klingt trotzdem nach
einem gefährlich modernen Eingriff.
Sie passt aber bestens zur räumlichen Situation des um einige Stufen abgesenkten
und mit Steinplatten ausgestatteten Forums. Nun ist dieser Ort glücklicherweise
nicht mit Wasser, sondern mit Bildern geflutet, die sich ausufernd, raumgreifend
ausbreiten. Comic und Science Fiction sind die offensichtlichen Inspirationsquellen
in der künstlerischen Umsetzung von Zeichnung und Scherenschnitt. Die Strukturen
der Macht und des Weltmarkts sind die Themen, die Schrat permanent beschäftigen;
aktuell ist es die Piraterie vor der Küste Somalias. Man steht einem hinreißenden
und mitreißenden Fluß der Ideen, der Erfindungen und Darstellungsweisen
gegenüber. Figuren und Objekte sind Erscheinungen ohne spezifische Substanz,
„nur“
als schwarze Schatten und hierarchielos nebeneinander gesetzt. Die Reduktion
auf Schwarz-Weiß eröffnet
aber zugleich die weitesten Interpretationsfelder. Unterschiedliche Bedeutungssysteme,
unterschiedliche Erzählwelten, unterschiedliche Zeiten vermischen sich.
Identifikationen bleiben uneindeutig: makaber, anzüglich, witzig oder schön?
Humor und Ironie machen vieles erträglich.
Zentral erscheint auf der Wand im Museum tatsächlich ein riesiges Schiff.
Als Idee ist das Wasser, seine Urmacht, nutzbringend und bedrohlich zugleich,
mit enthalten. Im wahrsten Sinne des Wortes ist Schrats Bild- und Erzählwelt
also „überborden“. Was nicht gefasst werden kann, nicht in
Formen und nicht in Begriffe, geht über Bord, fällt aus dem Rahmen
und verselbstständigt sich. „Simultan und kaskadenartig“ (Harald
Kunde) strömen die Bilder – das künstlerische Prinzip von Henrik
Schrat ist dem Urelement Wasser in mancher Hinsicht durchaus verwandt: eine
Urgewalt, mitreißend, drängend, fließend.
In seine monumentale schwarz-weiße Schattenriss-Erzählung hat Henrik
Schrat drei von ihm ausgewählte Arbeiten aus der Unternehmenssammlung der
Provinzial Rheinland integriert, Wasser ist wieder das gemeinsame Thema, wenn
auch aus ganz unterschiedlichen Zusammenhängen betrachtet. Malerisch sieht
es Michael van Ofen. Sein Gemälde „Ohne Titel (Helgoland)“,
1986, reduziert eine Küstenlandschaft auf die normalen Grundformeln. Das
Naturvorbild wird zur ungegenständlichen Komposition, in der es um Farbe,
um Energie, um eine mit rein malerischen Mitteln erzeugte Atmosphäre geht.
Zivilisationskritik ist Toshio Shibatas Motivation. Er setzt sich mit der Umgestaltung
von der Natur- in eine Kulturlandschaft auseinander, die in seiner Heimat Japan
rücksichtslos durchgesetzt wird. Ganze Berge werden weggesprengt, Flüsse
umgelenkt und Dämme gebaut, um bewohnbare Ebenen zu schaffen. Seine Fotoarbeit
„Quintessence of Japan“ zeigt einen Staudamm, der als monumentale
Wasserskulptur beeindruckt. Spaßig schließlich betrachtet Mike Kelley
das Wasser: Mit einem rosafarbenen Filztuch-Plakat (Ohne Titel, 1990) lädt
er zum „Ankerplatschen" („Anchor Splash!“) im Gymnastikbecken
für Männer ein.
In der Installation von Henrik Schrat spielt das Urelement Wasser eine sowohl
positive als auch negative Rolle. Der zum europäischen Kulturgut gehörende
Traum vom mutigen und gerechten Seefahrer weißer Hautfarbe, mit gekreuzten
Knochen auf dem Kopftuch, Augenklappe, goldenen Ohrringen und Papagei auf der
Schulter hat eine zutiefst irritierende Verzerrung erfahren, seit die modernen
Piraten vor Somalia Maschinengewehre statt Krummsäbel, Messer und Enterhaken
einsetzen. Dem Betrachter wird nun angesichts der Schrat’schen Erzählweise
eine Entscheidung abverlangt: Hängt er romantischen Abenteuergeschichten
und dem Glauben an das Positive der Robin-Hood-Mentalität nach, oder akzeptiert
er die politischen Dimensionen, die Piraterie immer schon hatte. Die Frage ist,
wo eigentlich liegt das kriminelle Potenzial? Bei den Luxusyachten, die vor
Somalia lagern, während auf dem Kontinent die von Hunger und Armut geschürten
Bürgerkriege tausenden von Menschen das Leben kosten, oder den kleinen
Piratenbooten, die es mit martialisch wirkenden Riesenfrachtern aufnehmen. Unweigerlich
denkt man an den Kampf Davids gegen Goliath. Andererseits schockieren die Nachrichten
von Piraten, die Frachtschiffe mit Hilfsgütern kapern, Menschen töten
und in ihrem Heimatdorf als Helden gefeiert werden.
Die Kunst kann sich glücklicherweise von Urteilen und Verurteilungen freihalten,
sie darf den Geschichten fantasievoll freien Lauf lassen – Geschichten,
die wie das Wasser sind, das als gefährliche oder erlösende Macht
alles wegspült.
Dr. Gerhard Finckh
Direktor Van der Heydt - Museum