Wenn
der Hirsch raucht
Der Schatten
ist die Aufhebung der materiellen Beschaffenheit des Körpers und
zugleich unabdingbarer Verweis auf seine Existenz. Schon in den umrandeten
Handabdrücken steinzeitlicher Höhlenmalerei drückt sich
die Vorstellung aus, dass die Fixierung der menschlichen Umrisse mehr
als jedes gemalte Bild die Erinnerung an einen Abwesenden bewahre, gleich
einem Abdruck seiner physischen Präsenz.
Die Faszination, die Scherenschnitt und Schattenriss auch heute noch oder
wieder auf Künstler ausüben, mag vor allem in der herausfordernden
Offenheit einer Form begründet liegen, die sich zwischen Gegenständlichkeit
und Ornament, Abstraktion und Figuration, zwischen scharfer Begrenzung
und einem unbestimmten Raum bewegt, dessen fehlende Information nach Interpretation
durch den Betrachter verlangt. Scherenschnitte ermöglichen zudem
eine Art und Weise des Geschichtenerzählens, deren scheinbare Harmlosigkeit
schnell zur Falle werden kann. Vom schönen Schein der Oberfläche
verleitet, entdeckt der Betrachter etwa in Kara Walkers auf den ersten
Blick an Biedermeieridyllen erinnernden Szenerien Monstrositäten,
in denen sich die Amerikanerin, selbst eine Schwarze, mit ethnischen,
politischen und sexuellen Tabus auseinandersetzt.
Henrik Schrats Schatten verbergen hinter ihrer Oberfläche weniger
schockierende Momente als vielmehr eine bemerkenswert leichtfüßige
Erzählkunst doppelter Böden und hintergründigen Humors.
Seit einiger Zeit entstehen große kastenartige Objekte aus Holz,
Papiertheatern ähnlich, die die erzählerische Wirkung seiner
Scherenschnitte ins Bühnenhafte steigern. Auf der Lichtung im Tannenwald
begegnen sich, den Bildvordergrund diagonal durchschneidend, ein röhrender
Hirsch und ein schaukelndes Mädchen. Dahinter, mitten auf die Lichtung
platziert, ein leerer Konferenztisch mit Stühlen, der ein leicht
irritierendes Gefühl der Ortverschiebung erzeugt. Was hier erhellt,
geklärt oder auch gelichtet wird, bleibt abzuwarten. Schrats Spiel
mit kulturellen Topoi verweigert eine eindeutige Auflösung. Das Märchen
von Sterntaler in zeitgenössischer Deutung? Märchen und Mythen
sind schließlich nichts anderes als der Versuch, die Welt über
das Erzählen von Geschichten zu verstehen und zu formen; Geschichten
mit normativer Kraft, die essentielle menschliche Erfahrungen bildhaft
vermitteln und als Speicher kultureller Erinnerung fungieren.
Dass es bei Lichtung um Kostensenkung und lean management, ein "gelichtetes",
schlankes Management, gehen könnte, so viel gibt der Künstler
preis. Häufig tragen Schrats märchenhafte Szenerien Titel, die
direkt auf Vorgänge in der Wirtschaft anspielen - eine Verbindung,
die im Falle von Henrik Schrat weit mehr ist als ein oberflächliches
Spiel mit Begriffen. Seit Jahren setzt sich der Künstler ernsthaft
mit Wirtschaft, Managementtheorie und ihren Beziehungen zur Kunstwelt
auseinander und hat nicht zuletzt einen breit angelegten Reader zu Strategien
in Kunst und Wirtschaft mit herausgegeben.
Warenströme heißt
ein Objekt, in dem eine ähnliche Verknüpfung der Ebenen stattfindet.
Auch hier spielt sich das Geschehen im Wald ab, dem "anderen",
entrückten Ort der Verzauberung und Verwandlung im Märchen.
Eine Gruppe von Leuten mit Säcken und Koffern wandert im Hintergrund
über eine Lichtung und verschwindet wieder im Gebüsch. Schmuggler?
Ali Baba und die vierzig Räuber? Eine Anspielung auf die mangelnde
Transparenz von Produktbewegungen der globalen Märkte? Zwei Beobachter
stehen im Vordergrund, verborgen im Unterholz: Hirsch und Hase sind hier
zu Hause, und zum Zeichen der Gemütlichkeit hat sich der Hirsch eine
Pfeife angesteckt.
Die humorvolle Kombination unterschiedlich besetzter, häufig klischeebehafteter
Bilder und Topoi ist charakteristisch für Schrats Vorgehen. Als Vorlagen
benutzt er Material aus ganz verschiedenen kulturellen Kontexten: Motive
der erzgebirgischen und vogtländischen Volkskunst, Genreszenen der
Scherenschneiderin Luise Duttenhofer aus dem 19. Jahrhundert, englische
Musterbücher aus den Siebzigerjahren, Clip Arts für Graphiker,
Firmenlogos, eigene Zeichnungen. Die Vorlagen werden gescannt, am Computer
bearbeitet, verschoben, beschnitten, zwischendurch von Hand überzeichnet
und schließlich mit Lasertechnik in Holz geschnitten. Schrats Produktionsprozess
entspricht einer zeitgenössischen Form des Scherenschnittes. Wie
der Gegenstand auf seine Umrisslinie, so wird das Pixelbild auf eine mathematische
Kurve reduziert. Das Schwarz ermöglicht jede Kombination, die Bilder
schlucken sich gegenseitig und ebnen die Schichten von Raum, Zeit und
Bedeutung ein, denen sie entstammen.
Der Wald in Markt besteht aus Baumstämmen, die den Bildraum gleichsam
verriegeln und statt mit Blättern mit kleinen Firmenlogos besetzt
sind; halb verborgen hinter einem Baum steht ein Exhibitionist. In seinem
Roman Der junge Mann beschreibt Botho Strauss die degenerierten Rituale
einer postkapitalistischen Gesellschaft, deren Mitglieder in einer verfallenen,
halb überwucherten Stadt dahinvegetieren. Natürlich ist auch
dieses Bild nur eine mögliche Sinnschicht. Gerade die rasche Wiedererkennbarkeit,
die den Umrissformen ebenso wie den Logos ihre unmittelbare Wirkung verleiht,
führt den Betrachter letzten Endes in die Irre. So klar der Umriss
zu verweisen scheint, so vielfältig sind die möglichen Bedeutungen
des leeren Innenraumes. Schrat lockt in ein Spiel mit Formen des kulturellen
Gedächtnisses, im Schatten als Erinnerungsbild und Projektionsfläche
zusammenfallend, und spinnt alte Märchen zeitgemäß fort:
Ökonomie als Mythenproduktion, als moderne Form der Welterzählung
und -erklärung.
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The shadow
is the sublation of the material condition of the body, and at the same
time an indispensable reference to its existence. Already the bordered
hand imprints of cave paintings from the stone age express the notion
that the fixation of human contours, like an imprint of his or her physical
presence, would keep the memory of the absent person better than any painted
picture,.
For artists, the fascination of the silhouette today lies probably in
the challenging openness
of a form that oscillates between concreteness and ornament, abstraction
and figuration, sharp limitation and an undetermined space, where the
lack of information demands the beholder's interpretation. Furthermore,
silhouettes enable a kind of narration whose apparent harmlessness can
quickly become a trap. Seduced by the pretty appearance of the surface
in Kara Walker's scenes for example, at first sight reminiscent of Biedermeier
idylls, the beholder discovers monstrosities with which the African-American
artist addresses ethnic, political, and sexual taboos.
Henrik Schrat's shadows hide behind their surface not so much shocking
moments, but rather a remarkably light-footed art of narration, characterised
by ambiguity and cryptic humour. For a while now, he has been building
large, box-like objects made of wood, similar to paper theatres, which
heighten the narrative effect of his silhouettes and give them a stage-like
quality. In Lichtung ['Clearing'], in a clearing in a pine forest, a belling
stag and a girl on a swing meet, cutting diagonally across the foreground
of the image. Behind that, placed in the middle of the clearing, an empty
conference table with chairs, which creates a slightly disconcerting feeling
of a geographical displacement. It remains to be seen whatever is being
illuminated, clarified, or indeed cleared here. Schrat's play with cultural
topoi refuses a clear solution. The fairytale 'Star Coins' in a contemporary
interpretation? Fairy tales and myths are after all nothing more than
the attempt to understand and form the world through the narration of
stories; stories with a normative power that mediate essential human experiences
in an emblematic way, and that function as a storehouse for human experience.
The artist is willing to divulge that what might be at issue in Lichtung
is the lowering of costs and lean management. Often, Schrat's fairytale-like
scenes have titles that refer directly to events in the economy - a connection
which in the case of Schrat is much more than just a superficial game
with terminology. For years, he has been seriously addressing issues of
the economy, management theory, and their connections to the art world.
Not least, he co-edited an extensive reader on strategies in art and the
economy.
Warenströme
[Commodity Flows] is the title of one object in which a similar connection
of various levels takes place. Here, too, the events take place in the
forest, the 'other' place, the site of enchantments and transformations
in the fairytale. A group of people with sacks and suitcases wanders in
the background across a clearing and disappears behind bushes. Smugglers?
Ali Baba and the forty thieves? A reference to the lacking transparency
of commodity movements of global markets? Two observers stand in the foreground:
stag and hare are at home here, and as a sign of Gemütlichkeit, the
stag has lit a pipe.
The humorous combination of differently connotated, often clichéd
images and topoi is characteristic for Schrat's way of proceeding. As
models, he uses material from very different cultural contexts: motifs
of folk art from the Erzgebirge und Vogtland, genre scenes by the nineteenth-century
silhouette artist Luise Duttenhofer, English pattern-books of the 1970s,
clip arts for graphic designers, corporate logos, his own drawings. The
models are scanned, modified on the computer, moved about, cut, drawn
over by hand, and finally cut in wood with the use of laser technology.
Schrat's production process corresponds to a contemporary form of silhouetting.
Just as the object is reduced to its outline, the pixel image is reduced
to a mathematical curve. Black allows for every combination, the images
swallow each other and level the layers of space, time, and meaning from
which they originate.
The forest in Markt consists of tree trunks which as it were lock off
the space of the image; instead of leaves, they bear small corporate logos.
An exhibitionist hides behind a tree. In his novel Der junge Mann, Botho
Strauss describes the degenerate rituals of a post-capitalist society
whose members vegetate in a decaying, half overgrown city. Of course this
image, too, is only one possible layer of meaning. It is precisely the
quick recognisability which gives contours as well as logos their direct
effect, that in the end leads the beholder astray. Although the contour
seems to refer to something clear, the possible meanings of the empty
inner space are numerous. Schrat seduces us into a game with forms of
cultural memories that collapse into each other in the shadow, as memory
picture as well as projection screen, and spins old fairy tales further
in a contemporary way: the economy as the production of myths, as a modern
form of narrating the world, and explaining it.
Markt / Market
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